DIE ZEIT: Frau Großmann, Ihr Unternehmen, die Georgsmarienhütte, soll spätestens 2039 klimaneutral arbeiten – ausgerechnet mit Stahl. Und sogar schneller als Deutschland insgesamt, das erst 2045 so weit sein will. Überschätzen Sie sich?

Anne-Marie Großmann: Nein. Wir wollen ein Vorreiter sein, so wie wir es auch in der Vergangenheit schon waren. 1994 haben wir hier als erster deutscher Konzern einen Gleichstrom-Elektrolichtbogenofen installiert, mit dem wir aus Schrott neuen Stahl kochen – damit sind schon damals auf einen Schlag 80 Prozent unserer CO₂-Emissionen weggefallen.

ZEIT: Sie könnten hier also schon jetzt in großem Stil umsetzen, was andere Stahlwerke noch nicht schaffen: mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen sogenannten grünen Stahl herstellen. Was hält Sie auf?

Großmann: Wir bieten schon Stahl an, für dessen Herstellung wir Windenergie einkaufen und so nur 0,05 Tonnen CO₂ pro Tonne Stahl ausstoßen – bei klassischem Stahl ist es etwa das 40-Fache. Viele Unternehmen bekunden an diesem grünen Stahl Interesse, etwa Autokonzerne. Aktuell laufen die Bestellungen eher langsam hoch.

ZEIT: Weil Sie zu viel Geld dafür wollen?

Großmann: Es gibt einen Aufschlag, aber der ist überschaubar: Ein Auto, in dem 350 Kilo grüner Stahl stecken, würde ungefähr 200 bis 300 Euro mehr kosten als ein konventionelles.

ZEIT: Wie sehr ärgert Sie dann, dass es bei Lippenbekenntnissen bleibt?

Großmann: Die Konzernmanager wissen eigentlich, dass sie nachhaltiger werden müssen – aufgrund gesetzlicher Vorhaben und weil der CO₂-Preis steigen dürfte. Allerdings fürchten sie auch steigende Energiepreise. Der Preisdruck der Konzerne dämpft die Nachfrage nach grünem Stahl.

ZEIT: Ihr Werk verbraucht mehr Strom als das nahe gelegene Osnabrück mit seinen 172.000 Einwohnern. Warum bauen Sie nicht selbst die etwa 60 Windräder, um den Bedarf zu decken?

Großmann: Wir würden gerne eigene Windkraftanlagen aufstellen! Wenn grüne Energie bezahlbar werden soll, müssen wir alle mehr Angebot schaffen. Und wenn wir die Windenergie direkt ins Werk einspeisen, erhöhen wir nicht einmal die Netzlast – noch ein Vorteil.

ZEIT: Warum zögern Sie?

Großmann: Wir haben intensive Gespräche geführt, insbesondere mit der lokalen Politik. Aber es gibt hohe Auflagen – etwa zum Schutz von Waldboden. Und Abstandsregelungen. Ich hatte es mir einfacher vorgestellt, einen Windpark zu bauen. Stattdessen wird unsere Lage immer schwieriger. Nun ist auch noch die Befreiung von den Netzentgelten für energieintensive Unternehmen weggefallen ...

ZEIT: ... weil die Ampel nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts sparen muss. Immerhin hat sie die Wirtschaft dafür bei der Stromsteuer entlastet.

Großmann: Die Entlastung macht etwa ein Prozent unserer Energiekosten aus, die zusätzliche Belastung 15 Prozent. Unterm Strich zahlen wir heute etwa doppelt so viel für Strom wie vor einem Jahr – da lagen die Preise auch schon deutlich höher als im OECD-Schnitt.

ZEIT: Ihre zuletzt veröffentlichte Bilanz weist für das Jahr 2021 einen Umsatz von zwei Milliarden Euro aus und einen Gewinn vor Steuern und Abschreibungen von 142 Millionen Euro; 2022 wollten Sie beides steigern. Haben Sie das geschafft?

Großmann: Über nicht veröffentlichte Zahlen spreche ich nicht. Aber so viel kann ich sagen: Wir haben in den vergangenen beiden Jahren auskömmlich Geld verdient, um wie geplant in unser Werk zu investieren. Nur sind die Aussichten jetzt deutlich gedämpfter.